Die geheime Kartografierung der Welt - das Schweizer Kartenwesen im Zweiten Weltkrieg

06. Aug. 2025

Die «Übersichtskarte von Polen» vom 5. September 1939 zeigt das vier Tage zuvor überfallene Polen. Die Grenzen wurden mit grüner Farbe markiert und der Ausbau des Verkehrsnetzes detailliert eingezeichnet. Es wird zwischen Doppelspurbahn, Einspur, Schmalspur und Strassen differenziert. Kartensammlung swisstopo. K 800 1940 2.33.

In den Beständen der Kartensammlung von swisstopo finden sich überraschende Karten. Darunter sind auch amtlich produzierte Karten zum Ausland. Wie kam es dazu, dass die Landestopografie Karten zu verschiedenen Regionen der Welt produzierte?

Philippe Frei

Leiter Kartensammlung swisstopo

In den Beständen der Kartensammlung von swisstopo finden sich zahlreiche Bestände, die aus heutiger Perspektive überraschen. Dazu gehört auch eine grossformatige Mappe mit der Aufschrift «Sammelmappe der vom Kartographischen Bureau des Armeestabes erstellten Länderkarten. Herrn Oberst W. Kissling zur Erinnerung an die Aktivdienstjahre, 1939-1940». Die in der Mappe enthaltenen Karten bilden mehrheitlich nicht etwa die Schweiz ab, sondern vielzählige Regionen Europas und der Welt. Darunter ist auch eine Übersichtskarte zu Polen, datiert auf den 5. September 1939, also vier Tage nach dem deutschen Überfall und Beginn des Krieges. Diese Karte trägt, wie die meisten dieser Mappe, die Aufschriften der Eidgenössischen Landestopografie sowie des Armeestabes. Beim Inhalt der Mappe handelt es sich nicht um eine Ansammlung von international produzierten Karten, sondern meist um internationale Karten, die in Zusammenarbeit von Armeestab und Landestopografie entstanden sind. Doch wie sah diese Kollaboration aus und wie und zu welchem Zweck wurden diese Karten erstellt?

Die Karten aus der Mappe Kissling sind auf Wikimedia Commons in hoher Auflösung frei verfügbar: Klicken Sie hier

Amtlich produzierte Karten zum Weltgeschehen

Die Kartographie produzierte während ihres Bestehens je nach Quelle 67 oder 100 geografische Karten zum Weltgeschehen, 2200 Standort- und operative Karten, 400 Ordres de Bataille und 2500 Zeichnungen und Grafiken. Mit der Felddruckerei wurden von diesen Karten rund 100’000 Drucke angefertigt. In der Mappe findet sich eine Auswahl von 55 geografischen Karten, welche unterschiedliche Weltregionen abdecken. Laut Quellen wurden diese, trotz des teilweise vorhandenen Aufschrift «Eidg. Landestopographie», mehrheitlich von der Kartographie des Armeestabs gefertigt. Ausnahmen sind einige wohl über geheime ausländische Kontakte erhaltene Karten. Darunter befinden sich auch zwei damals klassifizierte Karten des deutschen Heeres zur Schweiz.

Vorhanden sind zahlreiche Karten, welche jeweils wichtige Infrastrukturen und zum Teil auch Handelsrouten aufzeigen. In der oben erwähnten Karte zu Polen von 1939 sind zum Beispiel die detaillierten Ausbaustandards des Verkehrsnetzes eingezeichnet (Abb. 1). Eine Karte zum Vereinten Königreich illustriert Handels- und Produktionswege (Abb. 2). Zahlreiche Karten bilden Krisen und Kriegsgebiete des Zweiten Weltkrieges ab. So zeigt zum Beispiel die Karte «Territoires Français actuellement sous régimes allemands et italiens» die Besatzungszonen des besiegten Frankreichs (Abb.3). Gesamthaft ermöglichen die Karten Einblicke in die Beobachtungen des Armeestabs der internationalen Lage während des Krieges.

Der Leiter des Kartenbüros beschenkte den Sekretär des Eidgenössischen Militärdepartements Oberst Walter Kissling mit der Karten-Mappe als Erinnerung zur Aktivdienstzeit. Die geschenkten Karten bezeugen heute nicht nur die Arbeit des Armeestabes, sondern dokumentieren auch ein Kapitel Kartengeschichte, in der sich die amtliche Kartenproduktion über die nationalen Grenzen der Schweiz hinwegsetzte und die Welt kartografierte. Gerade die über das Kartenbüro koordinierte und von Mitarbeitenden der Landestopografie produzierten Karten der Kartographie demonstrieren die enge Verflechtung und Zusammenspiel von Landestopografie, Kartenbüro und Kartographie zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges. Dank der Strukturierung des amtlichen Kartenwesens gelang die Produktion dieser aus heutiger Perspektive sonderbaren amtlichen Karten zum Ausland.

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