Das letzte Handwerk

Karten auf Glas

2001 fand einer der grössten Umbrüche in der Kartenproduktion von swisstopo statt. Das Gravurhandwerk endete nach 163 Jahren der Anwendung auf Kupfer, Stein und Glas. Glas? Von 1953 bis 2001 gravierte swisstopo ihre Kartenoriginale in eine Lackschicht auf Glas. Wie es dazu kam, erfahren Sie in dieser Geschichte zur Schichtgravur auf Glas, dem letzten kartografischen Handwerk bei swisstopo.

1. Kapitel

Die Landeskarte

Neue Karten für die Schweiz

Neue Karten für die Schweiz

1935 erhielt die Landestopografie vom Parlament den Auftrag, ein neues, einheitliches Kartenwerk für die Schweiz zu erstellen – die Geburtsstunde der bis heute erscheinenden Landeskarten! Bis das Projekt in seinen Details vorbereitet war, wurden zahlreiche Studien und Proben zur Ausgestaltung der Karte erstellt.

Kartenprobe zur Landeskarte, 1930

Das neue Kartenwerk sollte in den Massstäben 1:25 000, 1:50 000 und 1:100 000 erscheinen, begonnen mit dem «Armeemassstab» 1:50 000. 

Wie viele Kartenblätter umfasste die Landeskarte in allen geplanten Massstäben?

Sogenannte Kartenoriginale bildeten die Vorlagen der fünf Offsetdruckplatten. Kartenoriginale garantierten, dass eine Karte nachgedruckt werden konnte und aktualisierbar blieb. Für die Erstellung dieser Originale setzte die Landestopografie verschiedene handwerkliche Techniken ein.

Die interaktive Karte zeigt erneut das Kartenblatt Wildstrubel 263 von 1938. Die fünf Punkte zeigen, wie die Originale für die ersten Blätter der Landeskarte erstellt wurden.

Klicken Sie auf die Nummern, um mehr über die unterschiedlichen Standorte zu erfahren.

  1. Originalherstellung für Schwarzdruckplatte

    Die Schwarzdruckplatte zeigte die sogenannte Situation (Strassen und Häuser) sowie Fels und Schutt, die einzelnen Waldsignaturen und die Schrift. Ihr Original wurde in Kupfer graviert.

    Originalherstellung für Schwarzdruckplatte
  2. Original für die Braundruckplatte

    Ebenfalls in Kupfer wurde das Original für die braunen Höhenkurven und Böschungen graviert.

    Original für die Braundruckplatte
  3. Original für die Blaudruckplatte

    Eine dritte Kupferplatte wurde mit dem blauen Gewässer sowie den weitgespannten Starkstromleitungen graviert.

    Original für die Blaudruckplatte
  4. Original für den Waldton

    Das Kartenoriginal für den flächigen Waldton wurde für die ersten Landeskarten lithografisch auf einen Druckstein graviert.

    Original für den Waldton
  5. Original für die Schummerung

    Bei der sogenannten Schummerung handelt es sich um die Schattierungen auf der Landeskarte. Diese wurden mittels Airbrush auf eine Folie gesprüht. Mit einem Filter wurde diese Vorlage fotografisch gerastert, damit die Schummerung bei genauer Betrachtung nicht mehr flächig, sondern gepunktet war. Die Rasterschummerung auf einer Glasplatte wurde dann direkt auf eine Offsetdruckplatte aus Aluminium kopiert.

    Original für die Schummerung
2. Kapitel

Die Kritik

Sparexperten

Sparexperten

Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Landestopografie in der Kritik. Grund dafür war insbesondere die verzögerte Publikation der Landeskarte. 1949 war erst ein Drittel der geplanten Blätter erschienen. Im Auftrag des Bundes untersuchten der Kartografieprofessor Eduard Imhof und der Betriebswirtschaftsprofessor Alfred Walther die Vorwürfe. Sie attestierten der Landestopografie Leistungsschwäche, Doppelspurigkeiten und das Festhalten an veralteten Produktionsmethoden.

Sparexpertise vom 26. März 1949, S. 10

«Der dargelegte Arbeitsgang bei der Erstellung der Landeskarte 1:50 000 ist zeitraubend und unökonomisch.»

Welche Verfahren kamen bei swisstopo bis heute im Kartendruck zum Einsatz?

Innovative Angestellte hatten daher bereits seit geraumer Zeit nach Wegen gesucht, um die Verfahren zu verbessern.

Chronologie 1943-1952

19 43

Multicolor-Verfahren

Fred Anderes war Reproduktionstechniker an der Landestopografie. Er tüftelte 1942 und 1943 in seiner Freizeit an einem neuen Verfahren für die Kartenreproduktion. Das von ihm entwickelte Multicolor-Verfahren wurde ab 1944 eingesetzt. Es verringerte den Kopieraufaufwand in der Kartenherstellung um einen Drittel, weil damit beliebig viele Farbebenen auf die Lackschicht eines flachen Trägermaterials kopiert werden konnten.

Multicolor-Verfahren
19 46

Alca-Verfahren

Das Verfahren ist nach seinem Erfinder Alfons Cavelti benannt, der die Druckerei der Landestopografie leitete. Cavelti verbesserte damit die Qualität des Umdrucks, mit welchem von einer Originalplatte eine Druckplatte erstellt wurde. Auf die geschwärzte Kupferplatte wurde ein Lack aufgetragen, trocken wieder abgelöst und auf Astralon oder Plexiglas aufgeklebt. Die Landestopografie kombinierte ab 1946 Alca- und Multicolor-Verfahren.

Alca-Verfahren
19 49

Direktes Verfahren

In diesem nicht an der Landestopografie entwickelten Verfahren wurde der Kupferstich ausgelassen: Statt der Kupferplatte fungierten die farbgetrennten Zeichnungen der Kartografen als Originale. Der Expertenbericht von 1949 empfahl den verstärkten Einsatz dieses Verfahrens und mittelfristig die Umschulung der Kupferstecher zu kartografischen Zeichnern. Die Landestopografie folgte diesen Empfehlungen.

19 52

Verfahren Chervet / Stump

Der Leiter der Fotokartografie Daniel Chervet und sein Nachfolger Hans Stump arbeiteten nach der Einführung des Direkten Verfahrens an dessen Verbesserung. Dank ihnen mussten die Kartografen nicht mehr farbgetrennt zeichnen. Die verschiedenen Farben konnten auf das gleiche Original aufgebracht werden, was die Arbeit erleichterte. Chervet und Stump trennten die einzelnen Druckfarben anschliessend mit fotografischen Mitteln auf, was für die Herstellung der farbgetrennten Druckplatten nötig war.

Verfahren Chervet / Stump

Mit dem Entscheid, künftig auf das Direkte Verfahren setzen zu wollen und die Graveure zu Kartografen umzuschulen, drohte das Gravurhandwerk nach über hundert Jahren in der Kartenherstellung zu verschwinden.

3. Kapitel

Das neue Verfahren

Totgesagte leben länger

Die Weiterführung der Gravur wurde mit Simon Bertschmann als neuem Direktor im Jahr 1952 jedoch wieder in Betracht gezogen. Er sah die Einführung des Direkten Verfahrens als Fehlentwicklung an. Bertschmann beauftragte seine Mitarbeiter, umgehend nach neuen und effizienteren Wegen für die Kartenherstellung zu suchen.

Simon Bertschmann an seinem Arbeitsplatz, 1956

Der Aufruf des Direktors blieb aber ergebnislos. Motiviert durch eigene Erfahrungen mit der Foliengravur als Stadtgeometer in Zürich und jüngste Erfolge bei der Gravur auf Glas in den USA, beauftragte Bertschmann seinen Mitarbeiter Hans Stump, eine Gravurschicht auf Glas und geeignete Kopiermethoden dazu zu entwickeln. Dies gelang noch im selben Jahr:

Hans Stump, 1954

«Die Gravierschicht auf Glas ist sehr dünn, lässt sich einfach auftragen und haftet gut. Sie lässt sich mit den Gravierinstrumenten leicht und vollständig entfernen. Die gravierten Kartenelemente sind randscharf, sauber und glasklar.»

Ausschnitt aus der Glasgravurplatte Sarine 36 W mit den gravierten Gewässer und der dazu passende Ausschnitt des fertigen Kartenwerks, beide 1960.

Das neue Verfahren war komplex aufgebaut und bestand aus zahlreichen Arbeitsschritten, die hier nur vereinfacht wiedergegeben werden können. 

Exkurs

Warum Glas?

Hier mehr erfahren
Hans Stump, 1954

«Nur in der Auswahl des Grundlagematerials für unsere Gravurplatten und für unsere genauen topographischen Karten bleiben wir hart, hart wie Glas, beim harten masshaltigen Glas.»

Als Träger für die Lackschicht wurden verschiedene Materialen in Betracht gezogen. Glas setzte sich jedoch gegen Aluminium und Folien durch, weil es auf Feuchtigkeitsschwankungen gar nicht und auf Temperaturschwankungen nur sehr schwach reagiert. Untersuchungen der Landestopografie ergaben, dass der Wärmeausdehnungskoeffizient von Glas achtmal kleiner als jener des besten Kunststoffs war. Damit garantierte Glas die Masshaltigkeit der eingravierten Karteninhalte. 

Glas spielte jedoch auch bereits vor Einführung der Glasgravur eine wichtige Rolle in der Kartenproduktion. In der fotografischen Reproduktion wurden bereits viele Kopierverfahren über Glasplatten durchgeführt. Ausschnitte aus einem Film von 1938 zeigen, dass die Mitarbeiter wahre Meister im Umgang und der Aufbereitung von Glasplatten waren und zahlreiche Geräte wie etwa die Schleuder bereits eingesetzt wurden. Damit war das neue Verfahren anschlussfähig an bereits vorhandene Infrastrukturen und Techniken.

4. Kapitel

Ein halbes Jahrhundert

Von Wabern in die Welt

Von Wabern in die Welt

Das neue Verfahren stiess auch bei externen Fachleuten auf Interesse. 1956 und 1960 führte die Landestopografie zusammen mit der ETH Zürich zweimonatige internationale Kartografiekurse durch. Über 20 Institutionen in Europa, dem Nahen Osten und den USA erwarben gar eine Konzession für die Anwendung der Glasgravur nach Schweizer Rezept.

Bild: Teilnehmerin und Teilnehmer des internationalen Kartografiekurses posieren für ein Gruppenfoto vor dem Sitz der Landestopografie in Wabern, 1960.

Weiterentwicklungen

Weiterentwicklungen

Bald stellte sich die Frage, wie die Kartennachführungen möglichst effizient umgesetzt werden könnten. Um nicht noch einmal alle Elemente eines Kartenblattes gravieren zu müssen, entwickelte die Landestopografie das Verfahren 1968 zum Ätzgravurverfahren weiter: Bestehende Kartenelemente konnten zu Beginn direkt in die Lackschicht geätzt werden, Fehler wurden dann mit Tusche abgedeckt und Neues nachgraviert.

Bild: erste erfolgreiche Ätzungsprobe, 1968

Internationale Aufträge

Internationale Aufträge

Das neue Verfahren erlaubte trotz kritischer Stimmen altgedienter Kupfergraveure die Erstellung qualitativ hochstehender Karten. Wiederholt wurde die Landestopografie vom US-Kartografen Bradford Washburn bei der Erstellung von Karten beigezogen, so auch für die Karte “The Heart of the Grand Canyon” von 1978, für welche die Landestopografie die Felsschraffuren auf Glas gravierte. Washburn lobte die Arbeit als Werk im Grenzbereich von Kunst und Wissenschaft. 

Bild: Ausschnitt aus der Felsgravur mit dem charakteristischen Plateau “Shivas Temple”

Aus der Zeit gefallen

Aus der Zeit gefallen

Um 1990 häufen sich Klagen der eigenen Mitarbeitenden zur Qualität des Arbeitsmaterials und der Grundlagen. Die Lack-Rezeptur musste wiederholt wegen nicht mehr lieferbaren Inhaltsstoffen angepasst werden. Durch das häufige Umkopieren waren einzelne Kartenelemente nicht mehr messerscharf wiedergegeben. Mit der aufkommenden Digitalisierung stand wiederum der Vorwurf im Raum, es würden veraltete Arbeitsmethoden angewandt.

Bild: Verbesserungsvorschlag von R. Mayek, 1989

Das Verfahren der Schichtgravur auf Glas hielt sich bis zur Jahrtausendwende. Dann erfolgte der Wechsel auf die computergestützte Kartografie und das Gravurhandwerk verschwand aus der Kartenproduktion. Damit waren auch neue Fähigkeiten gefragt, wie sich der Kartograf Stefan Wullschleger erinnert.

In den Sammlungen von swisstopo sind über 600 Glasplatten erhalten geblieben. Sie sind farbenprächtige Zeugnisse einer jahrhundertealten Handwerkstradition in der Kartenherstellung. 

Ausstellung La Suisse sur verre im Vitromusée Romont

Ausstellung La Suisse sur verre im Vitromusée Romont

Möchten Sie Glasgravurplatten genauer betrachten? Besuchen Sie die Ausstellung La Suisse sur verre im Vitromusée Romont (25.02.-25.08.2024)  

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