Ein Estrichfund entpuppte sich als kulturhistorisches Zeugnis: Grossformatige Fotoplannegative, entstanden aus Luftaufnahmen der 1930er- und 1940er-Jahre, dokumentieren den Wandel von Städten und Flussläufen vor und nach tiefgreifenden baulichen Eingriffen. Ihre materielle Fragilität und ihre schiere Grösse machen sie konservatorisch anspruchsvoll. Ihr Inhalt zeigt jedoch, dass Luftbilder für das Landschaftsgedächtnis schon immer von Bedeutung waren.
Die Bildsammlung von swisstopo ist voller Geschichten. Über Jahrzehnte produzierte Luftbilder finden aus allen Ecken des Hauses Eingang in die Sammlung. Und dann, bei der umfänglichen Bestandesaufnahme auf dem Dachboden: ein Schrank. Gross, schwer, mit einem Rollladen, der sich nur widerwillig öffnete, als müsste man sich sein gespeichertes Wissen erst verdienen. Darin hingen riesige Fotoplannegative, auf Polyesterfilm zusammengesetzt aus unzähligen Negativen. Bis zu 140 Zentimeter breit, ordentlich beschriftet, fein sortiert.
Bei Funden auf dem Dachboden ist oft nicht klar, ob sie aus Nachlässigkeit abgestellt und nie bearbeitet wurden oder ob sie aus Weitsicht aufbewahrt wurden. Solche Funde werfen Fragen auf. Hat man sie damals einfach abgestellt, oder bewusst aufgehoben? Was ist ihre Geschichte, und was bedeuten sie heute?
Die Bildsammlung will nicht alles bewahren, nur weil es alt ist. Entscheidend ist, ob die Objekte uns heute noch etwas erzählen und ob sie auch für kommende Generationen einen Nutzen haben.
Und genau das tun diese Negative: Sie stammen aus den 1930er- und 1940er-Jahren und bildeten die Grundlage von Fotoplänen, von denen in der Kartensammlung swisstopo lediglich eine Auswahl erhalten geblieben ist. Die Pläne wurden von Gemeinden oder Ingenieurbüros bestellt und sollten als Planungsgrundlage Siedlungen, Flussläufe oder Strassenabschnitte dokumentieren. Sie sind sozusagen der Vorläufer des Produktes SWISSIMAGE.
Die grossformatigen Fotoplannegative entstanden aus ursprünglich kleinformatigen Glasplattenoriginalen, die auf Kunststoff ausbelichtet, fotomechanisch entzerrt und anschliessend mit bewundernswerter Präzision auf eine Trägerfolie montiert wurden. Nur so liessen sich die eindrucksvollen Dimensionen der Fotoplannegative erreichen.
Doch historische Fotobestände bergen auch unangenehme Überraschungen. Sie enthalten Materialien, die heute als giftig und risikoreich gelten. Unter den vielen Negativen fand sich ein stark geschädigtes Exemplar. Zunächst deuteten die Schadensbilder auf das bekannte Essigsäuresyndrom hin – Celluloseacetat zerfällt dabei durch Hydrolyse, setzt Essigsäure frei und verursacht Delaminationen und somit charakteristische Verwerfungen.
Die Analyse der Materialien, zeigte jedoch, dass es sich nicht um Celluloseacetat, sondern um Cellulosenitrat handelte. Dieses Material ist fragil, toxisch und hochentzündlich und setzt im Zerfallsprozess schädliche Gase frei. Diese können beim unaufhaltsam voranschreitenden Abbau benachbarte Objekte schädigen. Weitere Materialtests ergaben wenig überraschend, dass es sich bei allen Objekten um Cellulosenitrate handelt.
Im vorliegenden Fall war der Schaden zum Glück begrenzt: Dank der hängenden Lagerung hatte das Negativ seine «Nachbarn» noch nicht beeinträchtigt. Dennoch musste dieses Objekt aufgrund seines Zustands aus dem Bestand entfernt werden.
Kein Arbeitsplatz, kein Scanner, keine Mappe war gross genug für die 149 Fotopläne. Deshalb wurden die konservatorischen Arbeiten kurzerhand im Sitzungszimmer durchgeführt. Mit Sorgfalt und dem nötigen Improvisationstalent: erfassen, reinigen, umlagern – Schritt für Schritt, bis alles gesichert war.
Auch die Digitalisierung zog kurzerhand ins Sitzungszimmer um. Mitten im Raum stand die Kamera. Weil die eigentliche Digitalisierungsstation zu klein war, mussten die Pläne hängend, wie im ursprünglichen Schrank, aufgespannt, hinterleuchtet und millimetergenau ausgerichtet werden. Alles zu zweit; allein lassen sich die grossen Formate schlicht nicht sorgfältig bewegen.
Am Computer wurden die Einzelaufnahmen anschliessend zusammengesetzt und vom Negativ ins Positiv gewandelt. So entstand Schritt für Schritt ein digitales Gesamtbild. Das Resultat lässt sich wirklich sehen.
Nach der konservatorischen Bearbeitung und Digitalisierung wurden die Pläne in ein externes Depot der Bildsammlung gebracht. Dieses Depot befindet sich in einer ehemaligen Festungsanlage und ist speziell für die sichere und fachgerechte Lagerung von empfindlichen Materialien wie die explosionsgefährlichen Cellulosenitratfilme ausgerüstet. Dort lagern sie bei konstanten 7° C und 35 % relativer Feuchte. Die Bedingungen werden laufend überwacht, um Abweichungen und Schwankungen rechtzeitig zu erkennen, bevor sie zu Schäden führen.
Gerade bei Trägermaterialien wie Celluloseacetat und Cellulosenitrat ist eine kontrollierte Lagerung entscheidend: Tiefe Temperaturen verlangsamen die chemischen Zerfallsprozesse erheblich, eine relative Luftfeuchtigkeit im Bereich von 30–40 % reduziert das Risiko von Schimmel und Hydrolyse, Dunkelheit verhindert Schäden durch Lichteinwirkung, Luftfilter wiederum Schäden durch Schadstoffe.
Internationale Normen dienen als Grundlage für die Ausgestaltung der Lagerung fotografischer Bestände.
Die digitalen Kopien ermöglichen heute einen bequemen und sicheren Zugriff am Bildschirm, ohne dass dabei die Originale durch die Nutzung in Mitleidenschaft gezogen werden. Doch die Originale bleiben. Denn sie sind mehr als reine Information: Sie sind materielle Zeugnisse ihrer Entstehungszeit, der Reproduktionstechnik und ein Teil der Amtsgeschichte.
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