Ausschnitt ICAO-Karte von 1964 mit Tiefflugrouten entlang der nördlichen Grenze von Konstanz bis Unterstammheim und durch die Ostschweiz (swisstopo Kartensammlung, LT LK 6012, 1964)
Seit 1962 stellt swisstopo die ICAO-Fliegerkarte her. An ihrer Geschichte lässt sich die Entwicklung der Schweizer Luftfahrt ablesen.
Flugzeug und Karte sind ein unzertrennliches Paar. In den frühen Jahren der Luftfahrt, als noch ausschliesslich auf Sicht geflogen wurde, war der Abgleich des Geländes mit der Papierkarte unverzichtbar. Und auch heute werden Karten am Bildschirm und auf Papier rege genutzt, um Flüge zu planen und durchzuführen. Doch handelsübliche topografische Karten sind nicht auf die Anforderungen der Luftfahrt ausgerichtet. Kartografische Innovationen wie Peil-, Routen- und Flughinderniskarten begleiteten deshalb von Anfang an die Entwicklung der Luftfahrt.
Eine erste Karte, die ganz auf die Luftfahrt ausgerichtet war, passierte im Jahr 1947 die Druckerpressen der Landestopografie. Im Auftrag der Armee hatte das Amt eine Flughinderniskarte im Massstab 1:300 000 hergestellt. Sie zeigte Sperrseile, Hochspannungsleitungen, Antennen, Schiessplätze und andere Gefahrenquellen für Militärflieger. In unregelmässigen Abständen erschien die Flughinderniskarte bis 1968, als sie von einer grossmassstäbigeren Serie in 1:100 000 abgelöst wurde.
Für die internationale Luftfahrt waren diese Fliegerkarten nur von beschränktem Nutzen. Sie waren auf das Schweizer Staatsgebiet beschränkt und sahen ganz anders aus als ihre französischen, deutschen oder italienischen Pendants. Wer sich auf einem internationalen Flug über Hindernisse informieren wollte, musste also zwischen verschiedensten Kartenbildern und -formaten hin- und herwechseln.
Der Behebung dieses Problems hatte sich die 1944 gegründete Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) verschrieben. Die Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Montreal wollte ein möglichst einheitliches und vor allem weltumspannendes Fliegerkartenwerk erstellen. Staatliche kartografische Anstalten erstellten fortan Fliegerkarten nach ICAO-Normen für ihr eigenes Gebiet und das angrenzende Ausland. So entstand 1956 auch die erste ICAO-Karte, die die Schweiz zeigte – hergestellt hatte sie das französische Institut géographique national (IGN).
Im Jahr 1960 nahm die Schweiz die Produktion von ICAO-Karten selbst in die Hand. Im Auftrag des Eidgenössischen Luftamts, dem heutigen Bundesamt für Zivilluftfahrt, begann die Landestopografie mit den Arbeiten an einer ICAO-Fliegerkarte im Massstab 1:500 000. Dieser Massstab ist bis heute die Norm bei ICAO-Karten.
Der Blattschnitt der Schweizer ICAO-Karte war so gewählt, dass auch grosse Gebiete des angrenzenden Auslands zu sehen waren. Auf diese Weise sollte dem wachsenden Bedürfnis nach Navigationsgrundlagen für internationale Flüge Rechnung getragen werden – die Flughäfen Lyon, Turin und München bildeten die Eckpunkte des Blatts.
Gleichzeitig wie die Schweiz arbeitete auch Österreich an einer ICAO-Karte 1:500 000 des eigenen Staatsgebiets. Weil die beiden Länder im Raum von Graubünden, Vorarlberg und Tirol eine grosse territoriale Überlappung aufwiesen, koordinierten die Landestopografie und das österreichische Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen ihre Anstrengungen. Das Ziel war, zwei möglichst ähnliche Kartenblätter zu erschaffen. Unter Federführung der Landestopografie entstand deshalb zunächst eine Kartenzeichnung der Überlappungszone. Sie diente als Grundlage und Vorbild für beide Kartenblätter. Bei der Harmonisierung gingen die Schweiz und Österreich über die Vorgaben der ICAO hinaus; beispielsweise wurden in beiden Kartenblättern die gleiche Schriftart und identische Kartensignaturen verwendet.
Ende 1962 erschienen nach knapp drei Jahren intensiver Arbeit das Blatt 2253-B und sein österreichisches Nachbarblatt. Informationen zur Flugsicherung wie Luftstrassen, Kontrollzonen, Gefahrengebiete, Flugplätze und eine Auswahl an Flughindernissen waren in blauer Farbe auf eine Grundkarte aufgedruckt. Das Relief des Landes wurde – anders als in der schweizerischen Landeskarte – nicht mittels Schattierungen, sondern durch eine Höhentonskala verdeutlicht. Die Vermittlung der Höhen über Farben erlaubte «dem Flieger auf den ersten Blick und ohne Höhenzahlen beachten zu müssen, alle Geländestufen klar zu erkennen», wie das Eidgenössische Luftamt anmerkte.
Nach der Erstausgabe erschien die ICAO-Karte 1:500 000 zunächst im Zweijahrestakt. Seit 2002 wird sie von der Flugsicherung skyguide und dem Bundesamt für Landestopografie swisstopo herausgegeben und jährlich nachgeführt. Die ICAO-Karte 2253-B fungiert bis heute als offizielle Luftfahrtkarte für die Schweiz und Liechtenstein und liefert unentbehrliche Informationen. Sie richtet sich einerseits an Pilotinnen und Piloten der Privat- und Businessfliegerei, welche nach Sichtflugregeln navigieren, und andererseits an Fluglotsinnen und Fluglotsen.
Die ICAO-Karte zeigt im Gegensatz zu anderen Karten nicht nur die Erdoberfläche, sondern auch die darüberliegenden Lufträume und deren vertikale und laterale Grenzen. Die vertikale Obergrenze der Karte entspricht der Flugfläche 195 (Flight Level; FL195), eine Höhe, die sich mit dem Luftdruck ändert. Bei Normaldruck entspricht sie ungefähr 5940 Meter über Meer. Die verwendete Lambert-Kartenprojektion hat eine hohe Massstabs- und Winkeltreue, was eine präzise Flugplanung und Navigation ermöglicht. Die Karte hat heute drei thematisch getrennte Farbschichten: Grundkarte, Luftraum & Flugsicherung sowie Luftfahrthindernisse. Das Farbkonzept ist so gewählt, dass die Karte auch für Nachtflüge mit wenig Licht verwendet werden kann.
Abgebildet sind Flugplätze, Helikopterlandeplätze, Lufträume, Funkfrequenzen, Sperr- und Gefahrenzonen, Luftfahrthindernisse, Navigationshilfen, Nationalparks, Schutzgebiete und vieles mehr. Im Zentrum steht die sichere Navigation von Start bis Landung. Für militärische Trainingsräume oder Segelflugräume gibt es spezifische Luftfahrtkarten, deren Massstab, Kartenausschnitt und Informationsgehalt auf die jeweilige Anwendung ausgerichtet sind.
Früher war es für Piloten wichtig den Namen der Schauspielerin Greta Garbo richtig buchstabieren zu können. Greta Garbo wurde dann durch Luftraumklassen und Flugrouten ersetzt – aber beginnen wir von vorne.
Beim Direktvergleich der Erstausgabe der ICAO-Karte von 1962 mit der aktuellen Ausgabe fällt auf, dass es auf letzterer mehr Lufträume gibt und diese seit 1962 gewachsen und komplexer geworden sind. Im Hinblick auf die steigenden Verkehrszahlen und Diversifizierung der Luftraumnutzenden ist dies keine Überraschung.
Die komplexe Luftraumstruktur in der Schweiz ist unter anderem der Topografie und der Kompromissfreudigkeit der Schweizer geschuldet. Ein genauerer Blick auf die Karte von 1962 zeigt, dass die Luftstrassen nach Farben benannt wurden. Green 5 war die erste Bezeichnung der Luftstrasse durch das Mittelland.
Die Abkürzung G5 blieb bestehen, jedoch wurden die Bezeichnungen dem bereits bestehenden Pilotenalphabet angeglichen. Die Luftstrasse Green 5 wurde in Golf 5 umbenannt, und verschwand 2010 komplett von der ICAO-Karte: Sie befindet sich heute innerhalb der Luftraumklasse C und wird deshalb nicht mehr separat auf der Karte dargestellt. Die zweite Hauptachse durch die Schweiz, ursprünglich Amber 9 und heute Alpha 9 genannt, ist weiterhin präsent auf der Karte. Die Strasse wird in die Abschnitte A9.1 und A9.2 unterteilt, welche zeitweise tiefere Untergrenzen aufweisen als die benachbarten Lufträume.
Greta Garbo war für Piloten so wichtig, weil damit international Prioritäten geregelt wurden. Flugzeuge auf der Luftrasse Green hatten grundsätzlich Vorrang vor Amber, danach kamen Red und Blue. Die Anfangsbuchstaben ergaben dann das Wort ‹GARB›, was mit dem Nachnamen Garbo gut zu merken war.
Flugplätze wie Meiringen, Turtmann, St. Stephan, Zweisimmen, Interlaken, Ascona, Lodrino, Ambri, San Vittore, Alpnach, Buochs, Ulrichen, Raron und Mollis haben eines gemeinsam: Man sucht sie vergebens auf der ICAO Karte von 1962, obwohl sie spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg bereits existierten. Aus Geheimhaltungsgründen wurden sie zunächst weggelassen und erst später nach und nach in die Karte aufgenommen.
Für die Navigation mit Kompass waren damals auch Isogonen (Linien gleicher Missweisung) prominent auf der Karte dargestellt. Heute sind sie auf die Rückseite der ICAO Karte verbannt worden, da immer weniger mit analogem Kompass navigiert wird. Dort, wo die Luftwaffe Tiefflüge trainierte, waren auch entsprechende Korridore auf der Karte eingezeichnet, um andere Piloten darauf hinzuweisen, dass mit entsprechendem Verkehr zu rechnen ist.
Der Wandel von Blatt 2253-B der ICAO-Karte über die Jahrzehnte zeigt, wie sehr sich der Flugverkehr am Schweizer Himmel verändert hat. Ihr Kartenbild ist von Ausgabe zu Ausgabe komplexer geworden. Das ist nicht nur auf die gestiegene Zahl der Verkehrsteilnehmenden zurückzuführen, sondern auch auf die wachsende Diversität der Nutzungsformen. Militärflieger, Verkehrsflieger, Segelflieger, Drohnen und Co. machen den Luftraum zu einem geschäftigen Ort, für den es transparente Regeln braucht. Seit über 60 Jahren leistet die ICAO-Karte einen wichtigen Beitrag dazu.
Die historischen Luftfahrtkarten sind auf Wikimedia Commons in hoher Auflösung frei verfügbar. Klicken Sie hier