Unterwegs: Vermessungsarbeit vor 100 Jahren

04. Apr.. 2023

Aufstieg und Materialtransport am Schärhorn, 1913 (swisstopo Bildsammlung)

Vor rund 100 Jahren war Vermessungsarbeit zu einem grossen Teil Feldarbeit. Gründliche Vorbereitung, geeignete Ausrüstung und viel Trittsicherheit waren erforderlich, damit die Expeditionen erfolgreich endeten.

Topografische Karten führen ihre Betrachterinnen und Betrachter in einsame Bergwelten, an beschauliche Seeufer, auf Gletscherzungen und in dichte Wälder. Ruhe und Klarheit der Kartenblätter lassen schnell vergessen, dass all diese Orte aufwändig vermessen werden müssen, bevor wir sie im Kartenbild betrachten können. Heute erfolgt die Kartierung jedes Winkels der Schweiz grösstenteils vom Flugzeug aus. Vor hundert Jahren war dies jedoch noch ganz anders: Damals mussten Ingenieure und ihre Gehilfen noch jedes Detail eines Kartenblatts vom Boden aus messen. Während der Sommermonate schwärmten deshalb Geodäten und Topografen alljährlich ins ganze Land aus. Gute Ausrüstung und alpinistisches Können waren nötig, damit die Landesvermesser erfolgreich von ihren Expeditionen zurückkehrten.

Sperrige Instrumente werden tragbar gemacht

Für die Feldarbeit waren High-Tech-Instrumente nötig. Theodoliten, Kippregeln, Heliotropen, Bussolen, Messtische und viele andere Objekte mussten heil zu ihren Einsatzorten gelangen: Waren sie beschädigt und die Messresultate somit unzuverlässig, war die gesamte Feldarbeit vergebens. Zu jedem Instrument gehörte deshalb ein möglichst undurchlässiges, leichtes und kompaktes Behältnis.

Im April 1900 schaffte die Landestopografie beispielsweise einen Repetitionstheodolit der sächsischen Firma Hildebrand an. Das Instrument kostete damals gut 1800 Schweizer Franken, was heute rund 23'000 Franken entspricht. Das kostbare Winkelmessgerät musste sorgsam in seine Einzelteile zerlegt und gut verpackt werden, damit es die Feldarbeit unbeschädigt überstehen konnte. Zwei Transportkisten waren millimetergenau auf die Einzelteile des Theodolits zugeschnitten.

Weil sie über weite Strecken von Mensch und Tier durchs Gelände getragen wurde, musste die ideale Instrumentenkiste stabil und gleichzeitig so leicht wie möglich sein. Wie wichtig dieser Aspekt war, zeigt das Gesamtgewicht des Hildebrand-Theodolit von 1900. Das Instrument inklusive Stativ wog 30.6 kg; durch die Kisten erhöhte sich das Traggewicht um knapp ein Drittel auf 40.5 kg. Dies war ein kostenrelevanter Faktor, weil für mehr Traggewicht auch mehr Messgehilfen angestellt werden mussten.

Packlisten

Neben Instrumenten waren eine Vielzahl weiterer Gegenstände erforderlich, damit eine Messkampagne zum Erfolg wurde. Schreibutensilien, Wanderausrüstung wie Seile und Gletscherbrillen, Rechenhilfen wie Logarithmentafeln und Rechenschieber, Kochgeschirr und nicht zuletzt amtliches Briefpapier und Bewilligungen waren für die Feldvermesser unabdingbar.

Packliste des Geodäten Hans Accola für die Feldarbeit, ca. 1908

Instrument & Instrumentenklappe, Stativ m. Lederkappe, 3 Räf, Heliotropen, 2 Militärzelte, Decken, 2 Schlafsäcke, 1 längeres Gletscherseil (20 m), 1 kürzeres Gletscherseil (12 m), Schine für Schirm, Bindstrick, 2 Messbänder (Stahlband), 3 Senkel, 2 Doppelmeter, 1 Zeissfeldstecher, Feldstecher für Gehülfen, Feldtasche, Winkelbücher, Dienstbarkeitsverträge, Feldbuch für Versicherungsnotizen, Notizbuch für Stationsausgleichg., Abreissnotizbuch, Bleistift, farbiger Bleistift, Radiergummi, Quittungen, Packkiste, Nivellierinstrument, Mire (Fussplatte), 2 Messlatten, Photographenapparat, offiz. Papier, offiz. Couverts, offiz. Postkarten, Monatsberichteform., Monatsrechnungsform., Transportgutscheine, Frachtbriefe, Federn, Tinte, Lineal, Fliesspapier, Mauerhammer, Schlaghammer Bohreisen, Pickel, Meissel, Stecheisen, Cementbecken, Cementbüchsen, Stifte, Ölflamme, Gekochtes Leniöl, Bleiweiss-Ölfarbe, rote Ölfarbe, Netzplan, Geograph. Karten, Eispickel auch für Gehülfen, Steigeisen, Bergstock, Compass auch für Gehülfen, Taschenmesser, Rucksack, Gletscherbrillen Laterne, elektrische Lampe (Gehülfen), Fahrtenplan, Taschenkalender, Kochapparat m. Spritflasche, Höhenmesser, Schreibpapier u. Marken, Faden u. Nadel, Zündhölzer, Legitimationskarte, Ausweis S.A.C., Rechenschieber, kl. Logarithmentafel, Pinsel für rote & weisse Farbe, Versicherungsformulare für Gehülfen und Ing., fliegende Adressen, gummierte Adressen, Vignetten: fragile, zerbrechlich

Im Feld

Nach eingehender Vorbereitung startete die Vermessungsarbeit in unwegsamem Gelände. Die Feldbucheinträge des Geodäten Johann Schwank (1887–1952) zu seiner Expedition zur Rosablanche im Jahr 1914 veranschaulichen, wie viel Kraft, Ausdauer und Geduld die Messkampagnen den Ingenieuren und ihren Gehilfen abverlangte.

Feldarbeit im Hochgebirge im September durchzuführen, war eigentlich unüblich: Wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs am 28. Juli 1914 hatte Schwank im August noch Aktivdienst leisten müssen. Der Geodät brach am 8. September von Bern ins Wallis auf, um auf dem Gipfel der Rosablanche Winkelbeobachtungen durchzuführen. Erst am 26. September waren die Arbeiten abgeschlossen. Mit dem Zug erreichte Schwank noch am selben Tag das Dorf Sembrancher, wohin die Bahn auch den wohlverpackten Theodolit geliefert hatte. Wahrscheinlich traf der Geodät in Sembrancher auf seine Gehilfen, woraufhin die Reise mit dem Fuhrwerk nach Fionnay weiterging. Am nächsten Tag erfolgte schliesslich der Vorstoss in die stille Bergwelt: Mit Instrumenten, Proviant und Kletterausrüstung schwer beladen überquerte der Vermessungstrupp die Alpe de Severeu und erreichte nach dreieinhalb Stunden Fussmarsch ihr Basislager. Unterhalb des Bergs und in der Nähe einer Quelle stellte die Vermessungsequipe ihre Zelte auf.

In den folgenden zweieinhalb Wochen stieg die Gruppe bei gutem Wetter vom Zeltlager zum Gipfel der Rosablanche (3336 m ü. M.) auf, führte Winkelbeobachtungen durch und stieg am gleichen Tag wieder zum Zeltlager hinab. Jedoch waren Winkelmessungen auf dem Berggipfel nur an 8 der 18 Expeditionstage möglich. Bei moderatem, aber zum Messen ungeeigneten Wetter verweilte die Equipe im Zeltlager auf 2700 m ü. M. Bei starkem Schnee oder bei Sturm bot das Zeltlager nicht genügend Schutz, weshalb sich der Ingenieur und seine Gehilfen zwischen dem 8. und 26. September 1914 auch mehrmals nach Fionnay auf 1491 m ü. M. zurückziehen mussten.

Nach der beschwerlichen Feldarbeit kehrte Johann Schwank Ende September 1914 nach Bern zurück. Im Hauptquartier der Landestopografie verarbeitete er die Winkelmessungen rechnerisch, um den Messpunkt Rosablanche in das Schweizer Triangulationsnetz erster Ordnung zu integrieren. Die aufwändigen Rechenarbeiten füllten die Wintermonate aus, bis bei Sommerbeginn wieder die Zeit der Feldarbeit anbrach.

Feldarbeit heute

Die Feldarbeit von Geodäten und Topografen erforderte viel Vorbereitung, geschickt verpackte Instrumente, gute Ausrüstung und vor allem ausdauernde, trittsichere und leidensfähige Mitarbeiter. Doch als Johann Schwank 1914 die Walliser Alpen vermass, kündigten sich bereits grosse Veränderungen an: Zwischen 1910 und 1930 experimentierte die Landestopografie verstärkt mit fotografischen Messmethoden, die zunächst vom Boden und ab 1926 auch von der Luft aus umgesetzt wurden. Seit den 1980er Jahren kommen zur Bestimmung geodätischer Fixpunkte Satelliten zum Einsatz. Die Feldarbeit veränderte sich dadurch grundlegend; Flugzeuge und Satelliten ersetzten Steigeisen und Messtische.

Heute befliegt swisstopo jährlich ein Drittel der Schweiz und erhebt dabei einen Grossteil der topografischen Daten. Doch nicht alles ist mit Flugzeug und Satellit mess- und sichtbar. Auch im Jahr 2023 ist die Feldarbeit ‘vom Boden aus’ deshalb ein wichtiger Bestandteil der Geodatenproduktion. Übernachtet wird heute aber im Hotel und nicht mehr im Biwak.

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