Wer sich mit dem Beitrag von Frauen zur Schweizer Landesvermessung auseinandersetzen möchte, steht zunächst vor einem Quellenproblem. Den frühen Mitarbeiterinnen von swisstopo auf die Spur zu kommen, ist eine Detektivarbeit: Die geschlechterspezifische Dokumentationslücke, die sich in vielen Sammlungen und Archiven beobachten lässt, ist auch hier vorhanden. Dennoch gewähren die für diesen Text untersuchten Archivdokumente einen Einblick in den langsamen, aber stetigen Wandel der Geschlechterverhältnisse bei swisstopo.
Für die ersten sechzig Jahre seiner Existenz (1838–1898) sind keine Mitarbeiterinnen des Eidgenössischen Topographischen Bureau bekannt. In einem Betätigungsfeld, das für die meisten Positionen eine Berufslehre, eine militärische Ausbildung oder ein Hochschulstudium voraussetzte, schlug sich die Kluft zwischen der Mädchen- und Knabenbildung des 19. Jahrhunderts deutlich nieder: Berufslehren für Männer wurden in der Schweiz bis zum Ersten Weltkrieg staatlich subventioniert, Frauen erhielten hingegen nur Unterstützung für eine hauswirtschaftliche Ausbildung. Noch markanter war die geschlechterbezogene Diskriminierung auf Ebene der Mittelschulen, denn Gymnasialbildung –der Schlüssel zu einem Hochschulstudium – wurde für die Schweizerinnen erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zugänglich.
Im Schweizer Bildungswesen war die Bedeutung des Geschlechts für die individuellen Entwicklungschancen immens. Für Frauen noch unzugänglicher als Berufslehre, Gymnasien und Hochschulen war aber das Militärwesen, das weit über das 19. Jahrhundert hinaus ausschliesslich von Männern bestritten wurde. Der Beruf des Vermessungsingenieurs wiederum ging oft Hand in Hand mit einer militärischen Ausbildung, und das Eidgenössische Topographische Bureau war aufs Engste mit dem Schweizer Militär verflochten. Damit rückte eine Karriere als Topografin für Schweizerinnen in noch weitere Ferne.
Die geschlechterbezogenen Unterschiede im Bildungs- und Militärwesen des 19. Jahrhunderts waren Ausdruck einer Gesellschaftsordnung, die für Männer und Frauen gänzlich ungleiche Lebenswege vorschrieb. Auch im 20. Jahrhundert veränderte sich daran nur langsam etwas.
1899 trat Emma Guggisberg (1879–1949) eine Stelle als «Büreaugehülfin» an der Abteilung für Landestopographie an. In ihren 36 Karrierejahren in der Kartenverwaltung arbeitete sie sich zunächst zur Kanzlistin zweiter Klasse (1910) und schliesslich zur Kanzlistin erster Klasse (1918) hoch und übte diese Funktion bis 1935 aus.
Was auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Karriere erscheint, war im damaligen Umfeld ein absolutes Novum: Emma Guggisberg ist die erste namentlich erwähnte Mitarbeiterin von swisstopo; während der ersten zehn Jahre ihrer Tätigkeit war sie die einzige fest angestellte Frau an der Abteilung für Landestopographie.
Mit Emma Guggisbergs Berufseinstieg begann 1899 im Stillen eine Entwicklung, die im frühen 20. Jahrhundert zu einer wachsenden Präsenz von Frauen bei swisstopo führte. Zwanzig Jahre nach Guggisbergs Stellenantritt arbeiteten zehn Frauen an der Landestopographie, was damals gut 7% der Gesamtbelegschaft entsprach. Der Frauenanteil nahm damit deutlich zu, die Anstellungsverhältnisse der Mitarbeiterinnen waren jedoch prekär: Mit Ausnahme von Emma Guggisberg waren 1919 alle Frauen als «Gehülfinnen» oder «Hilfsarbeiterinnen» angestellt, zudem waren die Mitarbeiterinnen überproportional unter den im Tagelohn oder befristet Angestellten vertreten.
Die Gründe für dieses Missverhältnis sind neben der oben erwähnten schlechteren Ausbildung von Frauen auch in einer Gesellschaft zu suchen, in der die bis heute wirkmächtige, inoffizielle Trennung von «Männer-» und «Frauenberufen» entlang scharfer Grenzen verlief. Dies zeigt sich darin, dass keine der 51 heute bekannten, vor 1939 geborenen Mitarbeiterinnen von swisstopo einen Ingenieursberuf ausübte. Die überwältigende Mehrheit von ihnen war als Sekretärinnen, Telefonistinnen und Hilfsarbeiterinnen tätig; in den Kartenproduktionsprozess stiessen die ersten Mitarbeiterinnen als «Zeichner-Gehilfinnen» und als Schriftsetzerinnen vor.
Nach dem Ersten Weltkrieg vergrösserten sich zwar die beruflichen Möglichkeiten für Frauen schrittweise, der Anteil der Erwerbstätigen unter den Frauen sank jedoch von 47% im Jahr 1910 auf 35% im Jahr 1941. «Der Grund für diese Entwicklung lag im zunehmenden Rückzug verheirateter Frauen aus dem Erwerbsleben. Das bürgerliche Familienmodell des männlichen Alleinernährers dominierte in den folgenden Jahrzehnten in der schweizerischen Bevölkerung», wie die Historikerin Anne-Lise Head-König betont.
Dieses Rollenbild erwies sich auch an der Landestopographie als wirkmächtig. Die seit 1960 erscheinende Hauszeitung legte davon Zeugnis ab: Die «hausfraulichen Pflichten» wahrzunehmen, «sich ganz den Familienpflichten widmen zu können» oder «vermehrt im häuslichen Kreis tätig zu sein» waren Begründungen, die in den Austrittsmeldungen zu L+T-Mitarbeiterinnen in den 1960er und 1970er Jahren zu finden sind.
Das Modell des «männlichen Alleinernährers» äusserte sich auch an den Hochschulen, wo Studentinnen bis ins späte 20. Jahrhundert untervertreten blieben. Obwohl Frauen gegen Ende des 19. Jahrhundert Zugang zur Gymnasialbildung erhielten, blieben Vermessungsingenieurinnen eine Ausnahmeerscheinung. Dies lässt sich am Beispiel der ETH Zürich verdeutlichen: 1947 belegte die erste Frau den Studiengang Kulturtechnik und Vermessungswesen, bis zum Stichjahr 1971 waren zu keinem Zeitpunkt mehr als drei Studentinnen in den Studiengang eingeschrieben. In derselben Periode bewegte sich die Zahl der männlichen Studenten zwischen 46 (1950) und 216 (1966/67).
Eine Alternative zum Universitätsstudium bestand ab 1963 darin, eine Berufslehre als Vermessungszeichnerin zu absolvieren und anschliessend ein Technikum zu besuchen. In der Romandie war dies am Technikum des Kantons Waadt möglich, in der Deutschschweiz am Technikum beider Basel. Dass Frauen jedoch auch diesen und andere Wege zum Ingenieursberuf deutlich seltener beschritten als Männer, legt die Entwicklung ihres Anteils an der L+T-Belegschaft nahe. Er belief sich im Jahr 1979 auf 12% und erhöhte sich bis 2001 nur leicht auf 14%. Zum Vergleich: Im selben Jahr lag die nationale Erwerbsquote von Frauen bei 52.9%. Gut ein Jahrhundert nach Emma Guggisbergs Stellenantritt waren die Geschlechterverhältnisse an der Landestopographie weiterhin eindeutig.
Die geschlechterbezogenen Unterschiede in der Erwerbstätigkeit zeigten sich bei swisstopo seit den Anfängen des Amtes im Jahr 1838 deutlich. Arbeitete bis 1899 nach heutigem Kenntnisstand keine Frau bei swisstopo, stellte das Amt zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten Mitarbeiterinnen an. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts verminderte sich die Disparität zwischen den Geschlechtern stetig, aber nur sehr langsam. Rollenbilder, die für Frauen lange kein Hochschulstudium und erst recht keines der Ingenieurwissenschaften vorsahen, sowie die enge Verbindung von Vermessungswesen und Militär mögen zu den entscheidenden Ursachen dieser schleppenden Entwicklung gehört haben.
Jüngere Zahlen deuten aber in eine klare Richtung: Seit 2001 verdoppelte sich der Frauenanteil bei swisstopo von 14 auf heute 29%. Dieser Trend könnte sich fortsetzen – Bundesrätin Viola Amherd hat sich zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil im VBS in den nächsten Jahren deutlich zu erhöhen.